Louise Labé - Sonett-Theorie
Femme de beauté, de goût, desprit -
Frau der Schönheit, der Lebensart, des Verstandes
Warum sterben die Völker so leicht für eine
Macht- und Herrschaftsidee, die sie nichts angeht? Warum ist noch keines
für eine höhere Erkenntnis gestorben oder für ein Sonett?
Franz Werfel
Halt,
halt! Was geht mir da für eine Idee auf? - Herrlich, göttlich!
Eben über den Gedanken, daß ich keinen Gedanken finden kann,
will ich ein Sonett machen, und wahrhaftig, dieser Gedanke über
die Gedankenlosigkeit ist der genialste Gedanke, der mir nur einfallen
konnte. Ich mache gleichsam eben darüber, daß ich nicht zu
dichten vermag, ein Gedicht. Wie pikant, wie originell!
Christian
Dietrich Grabbe: Scherz, Satire, Ironie, und tiefere Bedeutung
(Lustspiel, Zweiter Aufzug, Zweite Szene, Rattengift)
Ein Kommentar von Klaus M. Rarisch
Was man so »Zufall« nennt - : Zwei alte Freunde gaben mir, fast gleichzeitig, aber unabhängig voneinander, den Anlaß zu diesen Bemerkungen. Karlheinz Engel stellte in einem Brief vom 20.11.1993 den Wert von Rilkes Labé-Nachdichtungen in Frage. Und Robert Wohlleben schickte mir am 7.12.1993 die Labé-Übertragungen des völlig unbekannten Marcel B. Schmitt von 1951, die er von seinem Namensvetter Rudolf Wohlleben aus Bonn erhalten hatte.
Zum Vergleich der Übersetzungen eignet sich das Sonett Nr. IX. Louise Labé (1526-65), die hochgebildete und in der Belagerung von Perpignan kriegserprobte Lyoneser Seilersgattin (»la belle cordière«), erscheint in dem Standardwerk »Sonett« (Stuttgart 1979, S. 49) nur als namhafte Vertreterin der »Ecole lyonnaise«, welche »die italienische Dichtungssubstanz französischen Formen und Empfindungen« angepaßt habe.
Das Sonett Nr. IX reimt klassisch ebenmäßig (abba/abba//cde/cde), bzw., bei genauerem Hinsehen, noch raffinierter: abba/abba//cbd/cbd. Beide Übersetzungen bleiben dahinter weit zurück: Rilke abba/cdcd//efg/egf; Schmitt abba/cddc//efg/efg. Die Version von Schmitt wirkt wie der Versuch eines Dilettanten. Schmitt übersetzt höchst ungenau und kann die Pointe des Sonetts, die Dialektik von »verité« und »mensonge« im letzten Terzett, nicht wiedergeben. Ein festes Metrum ist bei Schmitt nicht zu erkennen. Die Silbenzahl variiert zwischen 8 (Vers 9) und 13 (Verse 3,6,13). Der Rhythmus läuft der jambischen Grundstruktur holprig zuwider. Schmitts Übersetzung ist in jeder Beziehung indiskutabel und zudem, angesichts des bedeutenderen Vorgängers Rilke, absolut überflüssig.
Aber auch die Rilkesche Version stellt trotz aller
Professionalität und Routine des Übersetzers kein Meisterwerk
dar. Wie schon Karlheinz Engel feststellte, wirkt die Floskel »des
Ruhns beginne« (Vers 2) unerträglich gekünstelt. Gleiches
gilt für die Umkehrung der natürlichen Wortfolge in Vers 9:
»Nacht für mich gemeinte«, mit der Schmitts schwächliche
Inversion »in dem schwachen Busen mein« (Vers 5) sprachlich
korrespondiert. Das Metrum des fünffüßigen Jambus hält
Rilke zwar im Gegensatz zu Schmitt durch, jedoch die Synkope »innige«
(Vers 10) widerspricht schmerzhaft lärmend dem intendierten Wortsinn
der »Stillung« und läßt sich meines Erachtens
ästhetisch nicht rechtfertigen. Und zu Vers 5/6: Inwiefern die
Zartheit weiblicher Brüste irgendetwas anzuhalten vermag, bleibt
das Geheimnis Rilkes, der sowohl als Dichter eigener wie als Übersetzer
fremder Sonette maßlos überschätzt wird. - Wesentlich
zurückhaltender äußert sich zu dieser Frage das oben
erwähnte Studienbuch »Sonett« (S. 123):
Der beträchtliche Anteil des Sonetts an den »Neuen Gedichten«
hat zu der Frage geführt, ob diese Form Rilkes besonderen Intentionen
in dieser Lyrik entgegengekommen sei. So wurde einerseits die Neigung
des Sonetts, am Schluß eine Pointe zu bilden, andererseits seine
Zweiteiligkeit als entscheidender Faktor hervorgehoben. Von solchen
deduktiven Feststellungen, die dann meist an einigen »charakteristischen«
Ausprägungen nachgewiesen werden - aber weiterhin gelten - sollen,
sind verläßliche Aufschlüsse bisher nicht erbracht worden.
Die Einzigartigkeit der Sonettdiktion dieses Autors macht Beobachtungen
zur Formbehandlung ebenso schwierig wie wünschenswert.
Quelle:
Sonette
übersetzen ... (Robert Wohlleben - fulgura frango)
Weitere Links
Das
Sonett (Wikipedia)
Les
sonnets de Louise Labé (Académie de Lyon; franz.)
Sonett-Archiv
(Edition Elf)
Klaus
M. Rarisch (fulgura frango)